Philo-Phonie…
… oder was die Sprache aus Klängen macht: Ein Forschungsansatz zur Kategorisierung klingender Phänomene.
Zum Kunstbegriff der PHILOPHONIE, dem Versuch über der——-AUDIOSOPHIE als Lehre des bewusst Hörenden
und der——————- SONOSOPHIE als Wissenschaft des an-sich Tönenden.
Das Geräusch meines Staubsaugers, das des vorbeifahrenden Autos, das, wenn ich den Reißverschluss verstelle. [aus: Dr. Arno Amian, 1001 Geräusche in Worten – Privatarchiv im Zettelkasten]
Auf diesen Seiten wird viel und vor allem vom GERÄUSCH die Rede sein. Dabei wird erst einmal nicht in Frage gestellt, warum ein akustisches Signal überhaupt als Geräusch eingeordnet wird und nicht im Register Sprache oder Musik landet. Es wird darauf gebaut, dass die Leser dieser Zeilen, bereits einen halbwegs kritischen Umgang mit dem haben, was gemeinhin in allen erdenklichen Kontexten als Geräusch bemüht wird. Also: das Geräusch ist fürderhin eine klare Sache!
Ohrensausen ist physiologisch Ausdruck der Blutzirkulation im Körper, psychisch erscheint es als Rauschen, welches physikalisch wiederum die Unmöglichkeit der Bestimmung einer eindeutigen Frequenzvorherrschaft bedeutet, bzw. den totalen Frequenzsalat, sprich Uneindeutigkeit meint. Ohrensausen als Geräusch zu bezeichnen, scheint ebenso legitim, wie vorbeifahrende Autos. Was sind Geräusche? Was bleibt vom Geräusch so man alle im Hören angedichteten subjektiv und kulturell geprägten Attribute vom Gehörten abzieht?
Was der Physik uneindeutig erscheint, dient der menschlichen Vorstellung als Orientierungshilfe und Navigationsinstrument.
Igor Strawinsky erregt 1913 mit seinem Frühlingsopfer Le sacre du printemps Aufsehen und provoziert den Skandal durch Umwidmung des Orchesterapparates in einen machtvollen Geräuschgenerator. Im gleichen Jahr erscheint Luigi Russolos Manifest L’arte dei rumori. Manifesto futurista (Mailand 11.3.1913), ganz grob gesagt eine Kampfschrift für die Anerkennung der geräuschtönenden Welt als Einflussfaktor auch kultureller Belange, und eine Umdefinition des bewusst sich weltabgewandt gebenden Musikverständnisses hin zum wirklichen Leben – und zwar über die Erweiterung des Kompositions-Materials in der Musik durch das Geräusch als einem Zeugnis modernen Lebens. Beide Komponisten – so unterschiedlicher sie kaum sein können – begeben sich in Opposition zur Tradition durch eine Besinnung auf das Geräuschhafte, bzw. dessen Qualitäten.
Im Blick auf die allgemeinen Geschehnisses dieser Zeit zeigt sich infolge, dass bald die ganze Welt den Reizen des Geräusches bis hin zum Krach erliegen wird. Erst nach der zweimaligem Erfahrung, dass die Verabsolutierung des Geräusches in Form überzogener Krachexzesse am Ende dann auch zu nichts Erstrebenswertem führt, kehrt wieder relative Ruhe ein; in die (europäische) Hemisphäre wie auch in die Musik.
Neue Wege werden erprobt, die Stille in ihrer reinsten Form – nämlich als Pause im Spiel des Orchesters – erklimmt den Olymp, die Idee des Zufalls streitet mit dem strengen Diktat muskalischer Formideale und die Elektronik tritt als neues Instrumentarium der musikalischen Materialbeschaffung ihren aus heutiger Sicht überaus erfolgreichen Weg einer Diversifizierung des Musikbegriffes an.
Das Geräusch war bei alledem nicht mehr wegzudenken und hielt gleich in den 40ern des 20. Jahrhunderts Einzug in solch bedeutende Laboratorien wie die Schmiede der Musique conrète von Pierre Schaeffer und Pierre Henry. Später wurde es dann ökologisch interpretiert, und heute erfährt es die Aufmerksamkeit breiten Kunstschaffens und gleich mehrerer Geisteswissenschaften in Form von Sound Studies, Medien- und Kulturwissenschaften, Geschichtswissenschaften und Soziologie, ja sogar die der Literaturwissenschaft und noch immer rebellisch sich geben müssender „Reform-Musikwissenschaftler“.
DAS Geräusch? Freilich verdient es den bestimmten Artikel, denn meistens ist es identifizierbar und damit konkret. Was aber wird an ihm identifiziert? Und was daraus dann gemacht?
Bei genauerer Betrachtung zerfällt der Terminus in unzählige Lesarten. Ein Wort wie „Kuchen“ ließe sich in der Mannigfaltigkeit der aus ihm hervor brechenden individuellen Vorstellung und daraus resultierender Effekte selbstredend ebenso problematisieren, löste aber nicht annähernd so leidenschaftliche Versuche des Widerspruchs und der Abgrenzung, bzw. puren Aktionismus aus, wie besagtes G e r ä u s c h. Vielleicht weil Kuchen kulturgeschichtlich einen engeren, wenngleich historisch annähernd so traditionellen Stellenwert einnimmt als der Hauptgegenstand dieser gerade aufgerufenen Seite?
Womit wir endlich beginnen wollen:
AUSGANGSPUNKT ist die Ãœberlegung, dass spätestens mit der „Emanzipation des Geräusches“ in der Musik durch den Futurismus ein Paradigmenwechsel für Komposition und Analyse eingeleitet wurde, der die Aufmerksamkeit weg vom Primat der musikalischen Form hin zum Material an sich lenkte. Infolge dieser Verschiebung entstanden neue Kompositionsformen und mit ihnen erweiterte sich auch der „Materialbegriff“ (z.B. durch Einbeziehung medialer Prozesse in die Kompositionspraxis). Hier laufen die traditionell auf Form und Gehalt der Musik abzielenden Analyseverfahren der Musikwissenschaft aus vielerlei Gründen ins Leere.
Stellenweise lief das Interesse der systematischen Musikwissenschaft aber auch bewusst an Entwicklungen in der Musik selbst und ihrem Umfeld vorbei. Dieses allzu konservative Festhalten an einstmals konsensfähigen aber längst überholten Idealen hat leider in den letzten Dekaden zum Beinahe-Verschwinden eines Faches an der philosophischen Fakultät geführt, dass aufgrund seiner breit aufgestellten aber speziellen Qualität im Konzert der Geisteswissenschaften im Ganzen erhalten bleiben sollte und bislang von keinem der neuen Kultur- und Medien- und Kunstwissenschaften adäquat ersetzt werden könnte.
Im Sinne einer interdisziplinär aufgestellten, erweiterten Musikwissenschaft gibt es bereits Bestrebungen der methodischen Erneuerung des Faches. Studiengänge wie die Sound Studies (Berlin und Bonn) oder im angelsächsischen Raum New Musicology genannt, interessieren sich nicht wesentlich für den Gehalt einer Musik, den hinter ihr stehenden Genius, sondern fragen ebenso – grob gesagt – die historische, gesellschaftliche, politische und ganz besonders kulturelle sowie technische Umgebung mit ab und verändern zwangsläufig damit den Musikbegriff, bzw. den Begriff des Gegenstandes der Analyse. Der Mannigfaltigkeit der Perspektiven folgend wirken diese Disziplinen allerdings noch sehr punktuell und haben gar nicht erst den Anspruch, das Ganze des Feldes zu überblicken. Ob Theater-, Kunst-, Kultur-, Medien- oder gar Medienkultur-Wissenschaften, all diese spezialisierten Einzeldisziplinen vermögen umgekehrt nicht zur umfassenden Methode sich aufzuschwingen – gesetzt den Fall, dass es sie überhaupt geben kann. Auch an punktuellen Terminologien herrscht kein Mangel, sei es beim Versuch ontologisch das Klangobjekt selbst (bspw. wie im Fall Pierre Schaeffers als „object sonore“) oder phänomenologisch den Klang von der Wahrnehmung her anzupacken.
Eine bewährte Methode der Geisteswissenschaft ist die der Konzentration des Gegenstandes durch Schaffung einer Prämisse. Diese Konzentration soll hier erreicht werden, indem der Begriff des Geräusches zur Schaffung eines wissenschaftlich-künstlerisch motivierten Gewebes sozusagen durch das Nadelöhr seiner Materialität geführt wird, d.h. mindestens auf einen Zweck im jeweiligen Kunstwerk zurück geführt gehört:
SCHAUBILD: PHILO-PHONIE
Zu entwickeln ist eine Terminologie, die interdisziplinär gilt. Ziel ist eine Analysemethode des bloßen Signals wie der mannigfaltigen Rezeptionsformen und eine darauf aufbauende Formenlehre (?) des neuen Kompositionsmaterials. Damit wäre dann auch wieder der traditionellen Vorstellung und gewissermaßen historischen Anbindung der Musikwissenschaft Rechnung getragen.
Die Begründung der Philophonie versteht sich – aus der Perspektive einer progressiven Systematik mit musikwissenschaftlichen Wurzeln kommend – als Versuch, die transdisziplinäre Synthese aller bisherigen Versuche der Systematisierung des Geräusches als Kunst-Material anzugehen.
Wer beitragen will, durch Texte, Anregungen, Projektvorschläge und Kunstgriffe, sei herzlich willkommen und findet via „Kontakt“ die Möglichkeit dazu.
Lehrenden sei gesagt, dass es sicherlich interessant wäre, diese Theorie und auf diesen Seiten nur grob skizzierte Gegenstände und Forschungsfragen im Rahmen von Seminaren zwischen Kunsttheorie, praktischer Sound-Erfahrung und -produktion als auch reiner Wissenschaftskunst weiter auszuführen.
Artikel bezieht sich auf Audiologie als wissenschaftliche Teildisziplin der Musikwissenschaft und nicht die Hörgeräte-Forschung
Aus der Musikwissenschaft heraus entwickelte Disziplin zur Erforschung aktueller Klangkunst und reproduktiver Komposition.
Die Audiologie umfasst alle Forschungsbereiche der Interaktionen von hörenden Organismen mit ihrer Umwelt, begonnen mit inner- und interartlichen Beziehungen zwischen den Hörenden (Hörvermögen, Hörgewohnheiten, Bildungsgrad und Reflexionsfähigkeit, individuelle Verarbeitung, Befähigung zu Austausch und Abgleich des Höreindrucks) über die Betrachtung von verschiedenen Hörräumen und Audiosystemen bis hin zu globalen Prozessen wie die Tonsystemverpflechtung.
Die Audiologie (lat. ich höre, von audire hören und λόγος logos ‚Lehre‘; also ‚Lehre vom Hörenden‘) ist diejenige Teildisziplin der Musikwissenschaft, welche die Beziehungen zwischen hörenden Organismen untereinander und mit ihrer Klangumgebung erforscht. Sinngleich wird zuweilen der Begriff Musiaudiologie verwendet, um diese gegenüber der physikalisch begründeten Akustik abzugrenzen.
Die markante Zunahme der Lärmbelastung infolge der Technisierung des Alltags gerade in den Ballungsräumen des 20. und frühen 21. Jahrhunderts und die sogenannte Emanzipation des Geräusches in Musik und Kunst, bedingte ein kulturelles Interesse am Geräusch und ein kulturelles Bewusstsein für Klangkonstellation im Alltag. Es entstanden Bewegungen wie das „world forum for acoustic ecology“, die die akustischen Missstände konkreter Orte benannten und Systeme der architektonischen und physikalischen Intervention entwickelten, gleichzeitig aber das Bewusstsein der Menschen für ihre Klangumgebung (z.B. durch >Hörspaziergänge) zu schärfen suchten. Diese klang-ökologischen Bewegungen gingen weit über den engen musikwissenschaftlichen Rahmen hinaus und werden seitdem häufig mit Begriffen wie Audio-Umwelt und Hörökologie in Verbindung gebracht und sind eng an diesen gebunden. Erkenntnisse der akustischen Ökologie werden seitdem zunehmend auf philosophische und gesellschaftliche Bereiche übertragen und auch zur politischen Argumentation verwendet, um das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt zu beschreiben (s. u.), konkret die Handlungsweisen, die dem Lärmschutz als Hörweltschutz (im Sinne des Umweltschutz) oder einem nachhaltigen Hören dienen.
Kleinste Raum-Zeit-Gefüge
Der oder das Audiotop (lat. ich höre, von audire hören) und gr. τόπος tópos „Ort“) bezeichnet einen bestimmten, hörend erfassten Ort, auch Hörraum, je noch weiter auszudifferenzierender Lebensräume, samt ihrer spezifischen Hörgemeinschaft (Audiozönose). Die Wissenschaft, die sich mit dem Phänomen des Audiotops befasst ist die Audiologie.
Da sich das Wesen des Hör-Ortes allein durch die Sinneswahrnehmung des letztlich nur subjektiv Hörenden (Ichfilter) manifestiert, zählt die Audiologie im Gegensatz zur systematisch verwandten Ökologie zu den Geisteswissenschaften, hervorgegangen wesentlich aus der Musikwissenschaft des auslaufenden 20. Jahrhunderts.
Ort, bzw. Klangraum und Subjekt sind gleichermaßen Bedingung der Möglichkeit eines Audiotops, insofern sie erst im Zusammenspiel beider als existent behauptet werden können. Audiotope sind aufgrund ihrer Ichfilterfärbung instabil und unterliegen flüchtigen Rahmenbedingungen. Erst Tonaufzeichnungsverfahren, d.h. die Möglichkeit der technischen Reproduktion bestimmter Hörmomenträume ermöglichte eine Systematisierung und Klassifizierung von Audiotopen im Fachgebiet der vergleichenden Audiologie.
Audiotope sind die kleinsten Einheiten der Audiosphäre. Im Bereich des Kulturschutzes und der Kultur-Landschaftspflege werden Audiotope aus pragmatischen Gründen weiter ausdifferenziert und Audiotoptypen zugeordnet.
Infolge der Fortentwicklung des Materialgedankens in der Audiokomposition und Musik unterschied man mit Beginn des 21. Jahrhunderts zwischen natürlichen (wie den oben beschriebenen, hochgradig Ichfilter bedingten, also aus einer individuellen und konkreten, dabei ortspezifischen Hörsituation hervorgegangenen und höchstens teilreproduzierbar) und artifiziellen, d.h. komponierten und beliebig reproduzierbaren Audiotopen.